Jenseits von Corona Wie könnte die Welt der Verlage, der Buchkultur und unsere Gesellschaft jenseits von Corona aussehen?

Nina Herold, Der Leser (2018)
Nina Herold, Der Leser (2018)

Eines ist in der Pandemie deutlich geworden. Sie hat die Gesellschaft und
unser Arbeitsleben digitaler gemacht.

Wir haben aber auch erlebt, dass sich nicht alles, was uns lebens- und
liebenswert erscheint, digitalisieren lässt.

Wie könnte die Welt der (Fach-) Verlage, der Buchkultur und unsere
Gesellschaft nach unseren heutigen Erfahrungen jenseits von Corona
aussehen, fragt sich Markus J. Sauerwald, Verlagsleiter des RWS Verlags?

Corona macht digital

Als viele Menschen Mitte März 2020 sich in Heimbüros wiederfinden, als wir
erfahren, welche Läden als systemrelevant gelten (Buchhandlungen gehören
bei der ersten Massenquarantäne nicht dazu), beginnt unser Leben digitaler
zu werden.

Wir erleben, den intensiv werdenden unmittelbaren Kontakt zu unseren
Kunden. Sie sind von ihrer gewohnten Informationsinfrastruktur
abgeschnitten. Sie rufen uns an, fragen nach digitalen Ausgaben ihrer Bücher
und schließen deutlich häufiger als zuvor reine Online-Abos unserer
Zeitschriften ab. Sie wünschen sich unsere Fachveranstaltungen, die in
Präsenz nicht mehr stattfinden, im Netz. Universitäten, Gerichte,
Anwaltskanzleien und Behörden verstärken die digitalen Zugänge zu
Datenbanken oder entdecken, dass sie diese nun benötigen.

Der »Corona-Sommer« verändert daran wenig, denn die Pandemie bleibt
gegenwärtig und eine Rückkehr zum normalen Arbeitsleben bleibt für viele
aus. Als sich im Herbst 2020 die Lage wieder verschlechtert, sind viele
unserer Kunden, der Buchhandel und die Verlage, in der neuen Welt
angekommen. Digitale Informationsangebote und Webinare werden offensiv
vermarktet und auch im Buchhandel werden Datenbanken häufiger verkauft.

Die Grenzen der digitalen Welt

Doch in der gelungenen online übertragenen Fachveranstaltung, bei der
unsere Experten auch im Videovortrag zum Fachbuch greifen, um eine aus
dem virtuellen Teilnehmerkreis gestellte Frage zu untermauern, wird deutlich,
was uns »das neue Normal« unter Corona genommen hat. Wir sehnen uns
nach Inszenierung und Begegnung und spüren, was uns im Digitalen fehlt:
Atmosphäre, Authentizität, Aura.

In kontaktbeschränkten Zeiten gibt es wenig Alternativen zum Virtuellen. Wir
arrangieren uns. Atmosphäre vermitteln wir in unserer Kundenansprache per
Mail und Anzeige. Wir verbinden sie mit dem Wunsch, die Haptik des
Buches, das Renommee unserer Autoren oder die Präsenz unserer
Referenten lebendig zu halten. Wir zeigen unseren Kunden authentisch, dass
es uns mit unserem Selbstverständnis, qualitativ hochwertige
Fachinformationen in zeitgemäßer Form anzubieten, auch jetzt sehr ernst ist.
Wir machen deutlich, dass wir die Bedingungen der Pandemie kennen und
bieten pragmatische und situationsgerechte Lösungen.

Unsere Hotline gleicht aus, was sich nicht antizipieren lässt: Postsendungen
an verwaiste Büros, Firewalls oder verlegte Logins. Wir streben an, dass auch in unserer digitalen Ansprache deutlich wird, dass wir für unsere Leser und Buchhändler auch in der veränderten Arbeitswelt da sind.

Der Wunsch nach der analogen Welt bleibt. Das spiegeln uns die zahlreichen Anrufe und
Mails, die uns erreichen. »Können wir die Zeitschrift, die wir online abonniert
haben, auch in Papier nachbeziehen, informieren Sie uns, wenn die
Veranstaltung aus dem Netz wieder in Präsenz angeboten wird?…«

Was jenseits von Corona wichtig bleibt

Unsere Erlebnisse und Erfahrungen sagen viel darüber, was wir von der »Zeit
nach Corona« erwarten. Der Wunsch nach Begegnung und Austausch unserer Kunden ist lebendig. Die Buchvorstellung solle bald mit der Aussicht verbunden sein, dass sie
wieder vor Ort stattfinden kann, vielleicht erweitert um online teilnehmende
Zuhörer. Die vom Verlag kuratierten Inhalte sollen auch in der
Digitalökonomie geschützt bleiben und nicht zu kostenfrei verbreitbaren
Informationsbits werden.

In der Pandemie ist unser wichtigster Aufenthaltsort, das eigene Heim – der
»erste Ort« – oft mit dem »zweiten Ort«, der Arbeitsstätte,
verschmolzen. Wir wissen, dass der »dritte Ort« Begegnungsräume sind, in
denen sich Menschen versammeln, aufhalten, Gemeinschaft erleben und
Öffentlichkeit hergestellt wird. Diese »dritte Orte« sind in einer globalen,
vernetzten Welt wichtig und identitätsstiftend. Atmosphäre, Authentizität und
Aura gibt es vor allem hier.

Mein Wunsch ist, dass wir unsere Städte, Schulen, Universitäten, Theater,
Museen, Buchhandlungen etc. wieder zu solchen Lebensräumen der
Begegnung und des Austausches werden lassen. Sie können von den
Errungenschaften der Pandemie profitieren: Menschen, die sich in den
digitalen Arbeitsformen in einer zeitgemäßen Infrastruktur vor Ort bewegen
und ihren Wunsch, die Welt auch wieder mit Händen greifen und begreifen,
erfüllen können, das Beste aus beiden Welten in unserer Welt.

Kein & Aber Tower auf der Buchmesse 2017

 

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Buchmarkt, in deren Heft 11/2020 der Beitrag erschienen ist.

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